Bootsfahrt auf dem Hozugawa
2019.11.1
Die Jahreszeiten | Küche | Tradition | Subkultur |
Japan gilt weltweit als straff durchorganisierte, konservative Gesellschaftsstruktur, die Effizienz über Selbstverwirklichung und Schlichtheit über Effekthascherei stellt. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Wer Japan also für ein langweiliges Land hält, sollte weiterlesen und sich vom Gegenteil überzeugen, denn es gibt auch noch ein anderes Japan mit einer florierenden, äußerst dynamischen Subkultur.
Dabei fällt zunächst die Mode ins Auge. Während die japanische Haute Couture gegen die Laufstege von New York und Paris antreten muss, erregt die alternative Mode, die sich durch Verspieltheit, Kreativität, Farbenblindheit und eine absolute „Alles geht“-Einstellung hinsichtlich Kombinationen auszeichnet, in jeder Stadt Aufsehen. Herz und Seele der alternativen Modeszene ist Harajuku und insbesondere die Straße Takeshita Dori. Am Rande dieses wohlhabenden Tokyoter Shopping-Bezirks haben sich alle führenden Marken angesiedelt, viele davon in der Omotesando, einer der schönsten Straßen. Nur einen Straßenblock weiter jedoch – parallel zur Omotesando – wartet eine der schrillsten Straßen in ganz Japan. Auch wenn Sie die Mode dort wahrscheinlich nicht kaufen würden, sollten Sie unbedingt die Kamera parat halten. Hunderte junge Mädchen und Jungen in Anime-orientierten Kostümen und skurrilen Outfits prägen das Straßenbild. Hin und wieder versammeln sie sich sogar zu kleinen, in einem bestimmten Stil gekleideten Grüppchen und ziehen in einer Prozession die Straße auf und ab oder können beim Schaufensterbummeln oder Abhängen beobachtet werden. Besucher erhalten so faszinierende Einblicke in die exotische alternative Modeszene – fast wie in einem Museum oder Zoo, nur ohne Eintrittsgebühr.
Ein anderes typisches Beispiel für das japanische Verhältnis zur Mode ist das Kaufhaus 109 im Tokyoter Bezirk Shibuya. Auf 10 Stockwerken finden Sie hier Gyaru-Mode, die sich angeblich von Woche zu Woche ändert, um mit der Wirtschaftskraft und dem flatterhaften Geschmack der japanischen Mädchen Schritt zu halten. Gyaru ist die japanische Transliteration des englischen Worts „Gal“ (dt. etwa „Mädel“) und ist aus einer gleichnamigen Jeans-Marke mit dem Slogan „I can't live without men“ hervorgegangen. Der Streetstyle ist seinem ursprünglichen Wahlspruch offenbar treu geblieben: Gyaru-Mode ist gewagt, tief ausgeschnitten und provokativ und wird von Diven verkauft, die es durch ihren Stilsinn und ihr Charisma zu Model-ähnlichem Ruhm bringen können.
Und dann gibt es ja noch Akihabara. Durch die mittlerweile immense Beliebtheit japanischer Manga- und Anime-Figuren sind Besucher heute nicht mehr gar so schockiert, wenn sie als Puppen kostümierte Männer und Frauen auf der Straße sehen. Japan ist ein Land, in dem alles möglich ist, wenn man nur weiß, wo man danach suchen muss. Der Vorstellung, sich von einem Dienstmädchen in kurzer, französischer Uniform bedienen zu lassen, kann kein stressgeplagter japanischer Mann widerstehen. In sogenannten Maid-Cafés und Bars werden Gäste von Kellnerinnen in französischen Dienstmädchenuniformen bedient und unterhalten. Mit ihrem rollenspielähnlichen Fantasy-Element sind diese Einrichtungen nach wie vor äußerst beliebt. Der neueste Trend sind Rundgänge durch Akihabara, die von einem entsprechend gekleideten Dienstmädchen geleitet und auf Englisch sowie in anderen Sprachen angeboten werden. Speisen, Getränke und Events sind im Preis enthalten, und die Teilnehmer können unter anderem in individuellen Läden durch Anime-Figuren und Fan-Artikel stöbern.
In der japanischen Musikbranche gibt es neben dem allgegenwärtigen Karaoke noch einige andere landesspezifische Trends. Einer davon ist AKB48. Die Gesangs- und Tanzgruppe aus „netten“ Mädchen trägt ultrakurze Schulmädchenuniformen, die ihren Eltern mit Sicherheit Kopfschmerzen bereiten würden. Das wohl erstaunlichste Musikphänomenon aber ist die virtuelle Figur Miku Hatsune, die ursprünglich als Maskottchen für einen Software-Synthesizer entwickelt wurde und deren Stimme von Fans in musikalische Kreationen der unterschiedlichsten Stilrichtungen eingebettet wird. Mithilfe innovativer 3D-Projektionstechnologie gibt Miku Hatsune auch Live-Konzerte, bei denen sie vor ihren fanatischen Fans und musikalischen Schöpfern singt und tanzt. Ihrer fiktiven Biografie zufolge ist sie erst 16 Jahre alt, hat aber schon die ganze Welt bereist. Ausverkaufte Konzerte in Los Angeles, Singapur, Hongkong und Taiwan sowie ein Auftritt als Primadonna in einer futuristischen Oper in Paris belegen die wachsende Zahl ihrer internationalen Anhänger. Auch wenn Sie bei Ihrem Aufenthalt in Japan kein Konzert von ihr besuchen können, bekommen Sie überall im Land CDs, verschiedene Fan-Artikel und sogar Videospiele mit Miku Hatsune.